CODE ORANGE – Schreie aus dem Kaninchenbau

Die einstigen Code-Orange-Kids sind endgültig erwachsen geworden. Am 13. März stellen die Hardcore-Wunderkinder CODE ORANGE aus Pittsburgh, Pennsylvania, ihrer für einen Grammy nominierten Scheibe „Forever“ den nicht minder schwer verdaulichen Nachfolger „Underneath“ zur Seite. Die irrwitzige Aggressionscollage soll dieses Mal noch tiefer in das Innenleben ihrer fünf Protagonisten eintauchen. Vor allem aber wird der kompromisslose Stilmix aus Metal, Hardcore, Alternative, Elektronik, befremdlichen Sprach-Samples und unmittelbaren Gefühlsausbrüchen auch 2020 nicht jedem schmecken. Wir trafen Gitarristin/Sängerin Reba Meyers zu einem entspannten Plausch in den Büroräumen von Warner Music in Berlin.
Hi Reba! War es schwierig, ein neues Album mit einer Grammy-Nominierung im Rücken zu schreiben?
»Ja, aber der Druck kommt natürlich von uns selbst. Wir haben versucht, die Grammy-Geschichte als eine Plattform zu nutzen, um unsere Ideen hinaus in die Welt zu tragen. Es gibt so viele davon in dieser Band, schon alleine durch unseren ziemlich einzigartigen Sound. Wir wollen, dass die Leute sich mit uns befassen und mehr über uns lernen.«
Ist es denn einfach geworden, euch in das Bewusstsein der Menschen zu spielen, oder müsst ihr immer noch viel für euren Erfolg ackern?
»Ich würde nicht sagen, einfacher. Es ist anders. Manche Dinge werden einfacher, dafür entwickeln sich andere zur nächsten großen Herausforderung. Es ist dieser Hunger, der uns vorantreibt.«
Nach „Forever“ kommt „Underneath“ – habt ihr bis jetzt nur an der Oberfläche von CODE ORANGE gekratzt?
»Es war gewissermaßen eine langsame Enthüllung. Während wir als Band wachsen, holen wir uns keine Einflüsse von Außen. Wir graben uns stattdessen tiefer in das hinein, was wir bereits haben. Wir beginnen ein neues Album nicht mit einem weißen Blatt Papier. „I Am King“ war die erste Offenbarung unseres Selbstvertrauens, während wir uns auf „Forever“ stärker mit der Wut auseinandersetzten. „Underneath“ zeigt noch mehr die extremen Auswirkungen, die die vergangenen Jahre auf uns hatten. Jetzt, da sich die Gesellschaft und alles verändert.«
Passenderweise trägt der erste Track der Scheibe den Titel ‚deeperthanbefore‘ und ihr bringt oft die Metapher des Kaninchenbaus mit „Underneath“ in Verbindung. Wie sieht der Ort oder der Zustand aus, den ihr betreten habt?
»Es ist eine äußerst extreme Landschaft. Wir erschließen uns neue Wege, um die Realität und das Künstliche in unserem Stil zu vermischen. Es ist ein fast schon Soundtrack-artiges Umfeld, das dem Kern jedoch treu bleibt, der unsere Band hardcore werden lässt. Mit „Underneath“ bewahren wir uns dieses Herzstück, diese Energie würden wir niemals verlieren wollen. Aber wir erforschen auch die dunklere, wütendere und verdrehtere Seite unserer Emotionen.«
Woher kommt all diese Wut und der Schmerz, der aus eurer Musik spricht?
»Das ist schwer zu sagen. Es ist bei jedem von uns anders, aber wir alle haben viel erlebt, seit wir Kinder waren und zusammen aufgewachsen sind. Wir spüren ähnliche Ängste darüber, was in der Welt passiert und auch eine Menge Frustration, wie die Dinge in der Musikszene laufen. Das Album handelt aber stärker davon, mit der Wut umzugehen, anstatt ihr nur freien Lauf zu lassen.«
Ihr habt auf „Underneath“ noch stärker mit schrägen Klangeffekten, elektronischen Farbtupfern und harten akustischen Einschnitten gearbeitet, was oft ziemlich verstörend klingt. Etwa die verzerrten Schreie in ‚In Fear‘ oder das psychotische Lachen in ‚A Slither‘. Wie passt das alles zusammen?
»Wir versuchen so viele moderne digitale Werkzeuge wie möglich zu finden und als Kern einer Hardcore-Band zu benutzen. Wir nehmen all diese Dinge und weben sie zusammen, wie bei einem schockierenden Film. Manche Leute beschweren sich über diesen Aspekt und bezeichnen ihn als sprunghaft, aber das ist alles Absicht. Es soll dich aufwecken und die Musik in eine komplett unerwartete Richtung lenken. Sie visualisieren, anstatt dich nur einem Song lauschen zu lassen.«
Wenn man sich das Video zur ersten Single ‚Underneath‘ ansieht, scheint ihr eurer Ästhetik treu geblieben zu sein. Trotzdem erscheint mir alles noch eine Spur klinischer und psychologischer.
»Der psychologische Aspekt ist ein gewaltiger Bestandteil des Albums. Oft haben die Leute es mit einem Horrorfilm verglichen. So wie „Forever“ mit einem klassischen Slasher zu vergleichen ist, könnte man „Underneath“ als einen psychologischen Horrorfilm betrachten. Die Wut springt dir nicht einfach so ins Gesicht.«
Gibt es einen Horrorfilm, der sich für einen Vergleich anbietet?
»Ich bin nicht sicher, wir lassen uns auch von vielen aus dem Sci-Fi-Genre beeinflussen. Es fühlte sich fast wie ein Videospiel an, ein vierdimensionales psychologisches Universum. Dieses Album aufzunehmen war niemals als Schmelztiegel verschiedener Stilmittel gedacht. Wir wollten etwas Neues erschaffen, das es bis jetzt noch nicht gegeben hat. Oft geht es mir so, dass ich mich in einer bestimmten extremen Gefühlslage befinde, aber nicht die passende Musik dafür finden kann.«
Also schreibst du dir diese Musik selbst.
»Ganz genau. Ich spüre, dass dieses Album Punkte erreichen kann, von denen ich weiß, dass andere Leute sie auch fühlen können, sie aber nicht erreichen können weil sie nicht die richtige Musik dafür haben.«
Ganz generell: Gibt es etwas, vor dem du Angst hast?
»Es gibt nicht vieles, das mir Angst macht. Das Erschreckendste in jedermanns Leben ist wahrscheinlich, wann man sich mit sich selbst auseinandersetzt. Die Leute fliehen oft davor. Mit diesem Album wollten wir nicht davonlaufen. Es hat uns alle zu dieser Art der Selbstreflexion gezwungen.«
Euer Drummer/Sänger Jami beschreibt „Underneath“ als Möglichkeit, „sich in einem übervölkerten, überreizten, alles verschlingenden digitalen Nirwana“ zurechtzufinden. Ich vermute mal, damit spielt ihr auf die Nachrichtenübersättigung und die Allgegenwärtigkeit der sozialen Medien in unserer modernen Welt an.
»Yeah, es geht um die Dualität, dass du dein eigenes Leben lebst, gleichzeitig aber auch in dieser überbelichteten digitalen Welt feststeckst. Wie kann man darin bei Verstand bleiben? Ich bin mir sicher, dass Jami andere persönliche Absichten verfolgt, aber es ist doch sehr nachvollziehbar.«
Wie sehr beeinflusst dich diese digitale Welt und die Informationen, die von allen Seiten auf uns einprasseln?
»Es ist schwierig, das alles überhaupt zu verarbeiten. Und es ist schwierig, darin seinen Frieden zu finden. Die Spannungen und Extreme in den Songs sollen zeigen, dass sich kein Moment der Ruhe finden lässt. Ein Großteil der Metal-Musik kann diese moderne und konstante Anspannung nicht wirklich repräsentieren. Diesen Lärm, dieses Bombardement.«
Glaubst du denn noch alles, was du im Internet liest?
»Nein, denn man liest ja kontinuierlich Neues. Und wenn man mal etwas glaubt, dann hat man es fünf oder zehn Minuten später schon wieder vergessen. Es ist schwierig, zu verstehen, was überhaupt noch von Bedeutung ist. Das ist definitiv ein Kampf, den heutzutage viele Menschen austragen müssen, besonders im jungen Alter.«
Ihr kennt euch alle schon sehr lange. In welchem Umfeld seid ihr zusammen aufgewachsen?
»Es war kein schlechtes Umfeld, wir fühlten uns nur ein wenig entfremdet von allen anderen. Wir sind mit einem normalen guten Leben aufgewachsen. Aber wir wussten, dass wir uns mit manchen Dingen obsessiver beschäftigten als die meisten Menschen um uns herum. Deshalb haben wir zueinander gefunden.«
Warst du eine Rebellin in der Schule?
»(Lacht.) Ein bisschen, ja. Wobei… Ich liebte einfach Musik! Damit habe ich all meine Zeit verbracht. Ich hatte niemals ein Problem mit der Schule, aber sie war für mich einfach ein zeitlicher Übergang, der mich nur darauf warten ließ, mich ganz auf die Band konzentrieren zu können. Wir alle wussten seit wir zwölf oder dreizehn Jahre alt waren, dass wir das durchziehen wollten.«
Haben euch eure Eltern immer unterstützt?
»Ja, definitiv, sonst wäre alles viel schwieriger geworden.«
Hören sie eure Musik denn auch?
»(Lacht.) Yeah, sie mögen es! Ich meine, harte Musik wird sich normalen Menschen niemals vollständig erschließen, aber sie haben die Ästhetik der Band immer geschätzt.«
Ist es manchmal auch schwierig und kräftezehrend für euch, ständig zusammen und unterwegs zu sein?
»Auf jeden Fall, aber das gehört dazu. Das ist der Grund für die hohe Spannung in unserer Musik, wir erleben viele Extreme wenn wir auf Tour unterwegs sind. An einem Tag sind wir über alle Maßen aufgekratzt und für einen Grammy nominiert, gleichzeitig können wir aber auch eine schlechte oder durchschnittliche Show spielen, die unser Selbstvertrauen komplett zerstört. Aber durch diese dunklen Momente beißen wir uns durch.«
Euer Motto lautete: Keine Regeln. Warum ist es euch so wichtig, Regeln zu brechen?
»Wir wollen mehr sein als nur eine weitere Band und wir sind mehr als das. Wir wollen die Tore öffnen für eine andere Herangehensweise an harte Musik in der modernen Welt und das Genre auf eine andere Ebene heben.«
Sind Regeln deiner Ansicht nach also etwas, das die Metalszene an einer Weiterentwicklung hindert?
»Regeln sind eine Möglichkeit, das so zu betrachten. Es geht aber auch viel um Tradition. Was die Leute akzeptiert haben, ist angemessen. In gewisser Hinsicht wird Metal immer der rebellischste aller Musikstile sein, aber er hindert sich manchmal selbst am Weiterkommen. Metal-Musik kann sich auch konstant weiterentwickeln und das ist es, was sie am Leben erhält.«
Letzte Frage: Wer sind die Headliner der Zukunft?
»Hoffentlich wir! Und Power Trip und Turnstile, das sind die beiden, die mir als erstes in den Sinn kommen. Es wäre wunderbar, eine dieser Bands als Headliner eines Festivals zu sehen oder es mit ihnen zusammen zu machen. Die Zeit dafür wird kommen und zwar schon verdammt bald. Schluss mit all diesen alten Metalbands an der Spitze der Festivals, davon hat doch jeder die Schnauze voll (lacht)!«
www.facebook.com/codeorangetoth
Bands:
CODE ORANGE
Autor:
Simon Bauer
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